Die ganze Geschichte:
Schon von weitem sah Ina, dass etwas nicht stimmte: Ihre Freundin Anna war ganz alleine unterwegs – ohne ihren geliebten Hund. Und sie war in Tränen aufgelöst. „Bello ist gestorben“, schluchzte sie.
Ina riss die Augen auf. „Das darf doch nicht wahr sein“, erschrak sie und dachte dabei an ihren goldigen Hamster Henry. „Gut, dass Henry noch lebt. Ohne ihn wäre ich genauso traurig wie Anna“, schoss es Ina durch den Kopf. Der Gedanke an den Tod machte Ina Angst.
Spontan legte sie den Arm um ihre Freundin. „Reden wir von etwas Schönerem“, sagte sie. „Sieh mal, ein Regenbogen!“
Aber Anna sah nicht hin, weil sie immer noch weinte.
Ina seufzte ratlos. „Früher mochte Anna Regenbögen so gerne. Es muss schlimm sein, so traurig zu sein“, dachte Ina bedrückt. Sie wünschte, dass die Tränen aufhörten und Anna wieder lachen könnte.
Als die Freundinnen beim Eismann vorbeikamen, kramte Ina nach ihrer Geldbörse. „Wie wär‘s mit einem Eis?“, frage sie hoffnungsvoll.
Aber Fehlanzeige! Anna seufzte nur, anstatt sich zu freuen. Dabei aß Anna eigentlich für ihr Leben gerne Eis. „Was soll ich nur machen?“, dachte Ina ratlos.
Die Freundinnen setzten sich auf eine Bank. Ina grübelte, während Anna neben ihr schluchzte. Da kam ihr die rettende Idee. „Warte hier, ich komme gleich wieder“, sagte sie.
Anna sagte nichts dazu. Sie war so traurig, dass sie nicht einmal bemerkte, dass Ina fortging.
Ina hingegen lief so schnell wie möglich heim, um eine freudige Überraschung für ihre Freundin vorzubereiten. Im Handumdrehen war sie mit einem Päckchen zurück. „Hier, für dich“, sagte sie und legte der weinenden Anna das Geschenk in die Arme.
Doch Anna reagierte nicht.
Daher musste Ina die Schachtel selbst öffnen. Vorsichtig griff Ina hinein und hielt niemand anderen als ihren geliebten Hamster Henry in der Hand. „Für dich“, wiederholte sie tapfer. „Als Ersatz für Bello!“
Tatsächlich kam ein wenig Leben in Anna. Nur ganz anders als Ina gedacht hatte. „Bello kann man nicht ersetzen!“, widersprach sie. Damit sprang auf und ließ Ina mit Hamster Henry einfach sitzen.
Ina wusste nicht, ob sie erschrocken oder erleichtert sein sollte. Irgendwie war sie beides zur selben Zeit.
Plötzlich saß Max neben Ina. „Der Hamster ist ganz große Klasse“, fand er. „Und deine Freundin Anna ist eine Heulsuse!“
Ina schwieg dazu. Sie wusste, dass sie ihre Freundin verteidigen müsste. Aber sie sagte nichts. Es stimmte ja: Anna war nicht mehr dieselbe. Ihr dauerndes Weinen ging einem auf die Nerven. Trotzdem, ‘Heulsuse‘ war gemein zu sagen. So was gehörte sich nicht.
Ina seufzte. „Ich wünschte, Anna würde wieder Anna sein, so wie früher“, murmelte sie.
„Genau“, nickte Max. „Die ist doof. Sie ist einfach weggerannt.“
„Anna soll sich mal wieder einkriegen“, sagte Ina verärgert. „Schließlich bin ich auch noch da. An mich denkt sie gar nicht mehr. Nur noch an ihren blöden Bello.“
So richtig toll hatte Ina den Hund sowieso nie gefunden. Spielen konnte man eh nicht mit ihm, weil er schon alt war. Der hatte nur herumgelegen, gefressen und geknurrt. „Anna ist besser ohne ihn dran“, beschloss Ina.
Am nächsten Tag schien die Sonne. Bestes Wohlfühlwetter. Ina durfte zum ersten Mal ein Sommerkleid anziehen. Das fühlte sich super an. Fröhlich hüpfte Ina von einem Bein aufs andere.
Von weitem sah Ina ihre Freundin Anna die Straße hinunterkommen. Ihre Schultern waren nach vorne gebeugt, ihre Schritte schleppend.
„Oh nein“, dachte Ina. Sie hatte keine Lust mehr auf Trauer. Beste Freundin hin oder her. Anna hatte ihr genug die Laune verdorben. Schnell wechselte Ina die Straßenseite.
Doch leider zu spät. Anna hatte ihre beste Freundin Ina schon entdeckt. Mit weinerlicher Stimme rief sie hinter ihrer Freundin her. „Inaaaa“, schluchzte sie. Es hörte sich furchtbar an.
Widerwillig blieb Ina stehen. Sie ließ sich nicht gerne herumkommandieren. Auch nicht von ihrer besten Freundin. „Anna soll ihre schlechte Laune gefälligst an jemand anderem abreagieren“, beschloss Ina. „Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?“, schnauzte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und rannte weg. Sie ließ Anna allein in ihrem Unglück.
„Hau bloß ab“, rief Anna hinter ihr her. „Du bist eh nicht mehr meine Freundin.
„Das will ich auch gar nicht sein, du … Heulsuse!“, schrie Ina zurück. Mit ihrer guten Laune war es vorbei. Ina war wütend auf Anna. Aber vor allem war sie wütend auf sich selbst. Weil Anna Recht hatte: Beste Freunde lassen sich nicht im Stich. Sie stehen sich in der Not bei. Warum bekam sie das nicht hin? Stattdessen hatte sie auch noch 'Heulsuse' gerufen. Ina schämte sich in Grund und Boden für ihr eigenes Verhalten.
An den kommenden Tagen hielt sich das schöne Wetter. Ina hätte glücklich sein können. Denn Anna blieb wie vom Erdboden verschluckt. Doch die Trauer hatte sie vergessen mitzunehmen. Deshalb wurde nun auch Ina immer trauriger. Sie vermisste Anna. Selbst Hamster Henry schaffte es nicht, Ina von ihrem Kummer um Anna ablenken. Ina fühlte Tränen über ihre Backe laufen.
Henry schien das nichts auszumachen. Er blieb an ihrer Seite. Das war tröstlich.
„Henry ist schlauer als ich es war“, dachte Ina. Sie wusste nun besser, was Anna von ihr erwartete: Anna wollte gar nicht abgelenkt werden. Sondern auf ihre eigene Weise um Bello trauern dürfen.
Mit neuem Mut lief Ina hinüber zum Haus ihrer besten Freundin. „Tut mir leid“, sagte sie, als sie vor Anna stand.
„Mir auch“, sagte Anna. Zum ersten Mal lächelte sie ein wenig. „Ich möchte einen Blumenstrauß auf Bellos Grab legen“, beschloss Anna. „Hilfst du mir beim Pflücken?“
„Na klar“, nickte Ina.
Beim Blumenpflücken war Anna immer noch traurig. Aber sie weinte nicht mehr. Stattdessen sprach sie über Bello. Und Ina hörte aufmerksam zu, ohne Anna abzulenken. Sie fühlte, wie die Trauer leichter wurde, die nun ein Teil ihrer Freundschaft war.
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